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Daniel Costantino

Der Jockel auf der Leiter

Mitte fünfzig ist er, sechzig, plusminus. Man gibts ihm garnicht. Das macht das lange Training die Leiter hoch, immer noch etwas höher und noch etwas höher. Drum wirkt er so fit. Und nie kommt er ins Schwanken! Das macht die Erfahrung, die Wachsamkeit. Hält sich hübsch an der Leiter und klettert nach oben. Und ernährt seinen Mann, auch das lässt sich sagen. Die Leiter steht jetzt im eigenen Garten. Die schönsten Früchte fallen ihm in den reifen Schoss.

Nie hat er geschwankt. Bloss gefröstelt die Jugend hindurch. All die Jahre, als er noch unten am Fusse der Leiter gekauert und sich nichts zugetraut hatte. Die ganze Welt um ihn war kalt und Krieg und konnte jederzeit in die Luft fliegen. In den Achtzigern war das noch. Im Kreml sassen Gerontokraten, das kann man sich heute garnicht mehr vorstellen. Schon bei Amtsantritt Wracks, die kaum noch auf einem Podium stehen und reden konnten. Er sieht noch immer die Bilder. Da hatte er Angst. Eine pa-pa-pazifistische Panik gehabt vor dem roten Knopf. Dass da ein Greis, der kaum noch weiss, wer er ist, plötzlich auf den Knopf drückt und die Welt in die Luft jagt.

Das waren Zeiten! Man kann sich das heute garnicht mehr vorstellen.

 

Aber heute ist heute und er steht ganz oben. Er ist immer schon beim ersten Tageslicht draussen, holt die Leiter aus dem Keller und klettert die Sprossen hoch. Beim ersten Tageslicht, ganz instinktiv. Damit da nicht plötzlich ein junger Spund mit einer eigenen Leiter kommt und ihm vor der Sonne steht. Es ist unglaublich, was die sich manchmal erlauben in fremden Gärten! Seine saturierten Kollegen ringsum machen es ganz genau so. Jeder steigt in der frühsten Sonne auf seinen Baum, bis er zuoberst auf der Leiter ist. Man winkt sich zu, zieht sich manchmal ein wenig auf, etwa mit dem Baum der Erkenntnis und dergleichen. Gutgemeinte Spässchen. Dann notiert sich ein jeder in einen kleinen Block, was der Tag alles ins Land bringt. Haargenau was er sieht von da oben und was da draussen, auch ganz weit draussen noch, vor sich geht: die Fakten. Zuoberst auf der Leiter entgeht einem nichts. Trotzdem stimmt man sich hin und wieder untereinander ab, wie grad der Wind dreht manchmal. Nur eine kleine Rückversicherung, hat ja schliesslich nicht jeder immer denselben Weitblick.

Beim Abendsonnenschein klettert er hinunter und schreibt in seinem schönen Haus die Notizen ins Reine. Die Kollegen in ihren Häusern tun mit ihren ganz gleichen Notizen das Gleiche. Dann schickt er einen Text zeitig genug auf die Redaktion und am andern Tag stehts in der Zeitung. Und die Kollegen machen ganz genau das Gleiche für ihre schöne Zeitung. Man könnte sagen: kein Blatt passt zwischen sie.

Einen hat es gegeben, der sich einmal nicht ganz an die Fakten hielt. Ein Einzelfall, ein unprovozierter Einzelfall. Die Redaktion hatte ihn sofort abgesägt und er stand nie wieder auf der Leiter. Seitdem, das muss er loben, tauscht man sich auf der Leiter oben noch besser aus als je zuvor.

 

Manchmal geschehen ganz verrückte Dinge, zum Beispiel die Sache mit der Maus. Gerade schreiben sie alle in den höchsten Tönen darüber, durchs ganze Sommerloch. Diese Maus hat immer im Keller gelebt, hat ab und zu ein wenig gepiepst, sonst nichts, die grauste aller Mäuse. War einmal beim Einen, einmal beim Andern im Keller zu Gast. Sie haben sich über sie amüsiert und sie Kamala genannt. Viel zu privat für eine Story, kein eigentlicher Fakt. Niemand musste ihretwegen Fallen aufstellen, sie hat nicht einmal an den Kartoffeln genagt. Der alte Kater hat sie überhaupt nicht bemerkt. Nicht viel mehr als eine Leiche im Keller.

Aber paar Tage her, da ist plötzlich alles anders gekommen, keiner weiss wie: Morgenstund, Goldimmund, sie sonnen sich alle hoch auf der Leiter, da jagt doch der alte Kater auf einmal die Maus ums Haus, das ist überhaupt noch nie vorgekommen. Völlig ausser Atem rennt der fette, zerzauste Kerl der Maus hinterher und hat keine Chance, sie einzufangen. Von der hohen Warte aus schauen sie zu, es ist ein erbärmlicher Anblick. Im Affenzahn springt sie ausgerechnet auf seine Leiter, an ihm vorbei, der auf der obersten Sprosse steht, mit einem Satz in die Krone hinauf, wo keiner von ihnen je hingelangt, und dreht dem Kater unten, der nicht mehr wie früher den Baum hochkommt, eine lange Nase.

Ja es schien ihm sogar, sie drehte auch ihm eine lange Nase.

 

Das war vor paar Tagen. Seitdem schreiben sie über die Maus, täglich als allererstes. Gerade bricht wieder ein früher Sonnenstrahl durch die Äste und zeigt sie schon hoch in der Krone im goldenen Glanz. Alles Grau ist von ihr gefallen. Wie eine Göttin erstrahlt sie ihnen da oben und quietscht vor Vergnügen.

Kamala, die lachende Göttin der Morgenröte.

 

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