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Daniel Costantino

Der Fischer im Rhein

Über die Kunst des Meditierens


Ich bin leider völlig unbegabt für jede Art von Meditieren und bedaure das selber am meisten, denn ich habe Freunde, die schwärmen davon. Um tiefes Einssein mit dem Kosmos geht es ihnen, wenn ich es recht begreife, weniger um Taumel und Ekstase. Das wäre mir ganz recht, ich komme ja nun langsam ins philosophische Alter hinein. Wenn man es nur zulasse, könne man Gedanken und Gefühle einfach durch sich hindurchströmen lassen, höre ich, und dabei merken, dass sie gar nicht eigener Besitz seien, sondern fliehende Schätze der kosmischen Welt. Einen kenn ich, der stellt sich vor, wie ein Fischer auf einem Felsen im Rhein zu sitzen und des reichen Fanges zu harren, der da durch die Bahnen des Bluts seinem Wesen zufliesse aus den Tiefen des Wassers und bald wieder hinaus und hinweg ins weite Meer.


Ob einem dann Fische durch die Adern schwimmen? frage ich ihn. Er schüttelt sanft den Kopf. Ich müsse nur die Augen schliessen und mir den Strom der Gedanken vorstellen, als wär’s der Rhein. Ich bräuchte nicht einmal auf dem blanken Boden zu sitzen, das gehe auch am Frühstückstisch oder auf einer Tramfahrt. Dann umarmt er mich brüderlich und geht seines Wegs. Und der ist sein Ziel.

Gut, ich versuch es einmal. Wenn mir auch ein bisschen abenteuerlich zumute ist. Ich sitze also eines Morgens am Frühstückstisch, vor mir den dampfenden Kaffee. Mein gekochtes Ei hab ich schon gegessen, bisschen Salz, bisschen Mayonnaise. Ich schliesse die Augen. Ich sehe den Felsen, ich sehe den Rhein. Bloss mich selber sehe ich nirgends. Dafür sticht mir Kaffeegeruch in die Nase. Dann muss ich aufstehen und gehen. Mein Ziel heisst Büro. Und der Kaffee bleibt liegen.


Der zweite Morgen: ich fühle Stille, sehe Felsen, Rhein, ein bisschen Mayonnaise. Doch in mir rührt sich kein Wellenschlag. Schliesslich erhebe ich mich und trinke mit Grausen meinen kalten Kaffee. Am dritten Morgen mach ich’s anders und stelle mir das tiefe Wasser schon beim Rasieren vor. Es sprudelt und gurgelt. Ich lasse den Hahn einfach laufen, drehe ihn auch in der Küche auf, mache Kaffee, koche mein Ei. Und kaum hab ich mich hingesetzt, geschieht’s: vor meinen geschlossenen Augen purzeln Rasierklingen, schlagen Haken wie vor der Flinte eines Jägers und ein blinkendes Rad über den Rhein und den Rand des Erkennens hinaus. Vom Wasserhahn spritzt etwas Gischt an meinen Wangenknochen und verkräuselt sich am Nasenflügel. Dann spotzt die Kaffeemaschine heissen Dampf aus ihren Düsen. Ich steige sofort vom Felsen und nehme sie vom Herd.


Auf dem Gang ins Büro ein kleiner Kiesweg und ein paar kahle Bäume. Schwarz und Griesgram der Himmel, von grellen Stichen durchschossen, eine zerknitterte Migräne über dem Grollen des Morgenverkehrs. Ich laufe bei Rot über die Strasse, jäh verscheucht von einem Hupen, das wie ein Abdruck in der toten Luft zurückbleibt. Beim Kiosk an der Ecke schlägt feuchter Wind an und bringt seine Plache ins Flattern, auf die Autos daneben platzen die ersten öligen Tropfen. Zwei Arbeiter traktieren ein Senkloch, es schlägt Metall auf Metall. Ich biege in die Hauptstrasse ein. Plötzlich fängt alles zu pfeifen und zu giessen an, krachend schlägt das Gewitter hernieder. Leute, Menschen, triefende Fetzen in kalten Böen über den Asphalt gejagt, wie klobiges Holz aus Bussen und Trams in den klatschenden Regen gekippt, auf ihren schwankenden Fahrrädern am Kragen gepackt und aus den Sätteln gehievt, von den glitschigen Trottoirs donnernd in den Schlund der Häuser gespült. Fast als der Letzte verschwinde ich selber in einem der Häuser, pudelnass und Alltagsgeist, ganz Pflichterfüllung nun wieder.


Die Mittagspause verbringe ich macchiatotrinkend in der Kantine. Man scherzt und schwatzt. Einer hat die Augen geschlossen und wiegt mit dem Kopf wie mit dem Bogen einer Angelrute. Ob er sich auf einem Felsen wähnt? Das Plappern im Raum klumpt sich zu einem Knäuel und schwebt zum offenen Fenster und einem aufgeblauten Himmel hinaus. Da stösst mich einer mit einer Geburtstagskollekte an. Ein Kollege wird sechzig. Ich zähle ein paar Franken in den Topf. Dann trete ich mit dem Macchiato ins Freie und rauche vor dem langen Büronachmittag noch eine schöne Zigarette.


Abends zuhause bin ich zu müde, einen Fischer zu mimen. Was schert mich der olle Rhein! Ich blättere in einer alten Chronik und lese von Bauern aus dem 17. Jahrhundert, die manchmal recht und manchmal schlecht getan hatten. „Weder der Name des Urahns“, steht da geschrieben, „noch das Datum seines Todes wurde in der Familie überliefert. Aber dass der Urahne seinerzeit wusste, an welchem Tag er sterben werde, blieb in der Familie unvergessen.“

So ist mal der Mensch, ein Mythendichter. Mit dieser Erkenntnis lege ich mich ins Bett und schliesse die Augen. Erst seh ich nur schwarz. Alles nur schwarz. Bald aber erblüht mir ein schöner Thymian. Ein sattes Rosenrot. Ein Funkeln, das lächelnd im Tanze schreitet.


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