top of page
Daniel Costantino

Der Fernseher

Aktualisiert: 30. Sept. 2021

I

Zuweilen am Abend, da lud er sich Gäste, illustere Runden ins Haus, die ebensogut über Billigmarktketten wie über die straffällige Jugend, nicht minder beherzt über Alzheimerkranke redeten als über ein zeitgemässes Partnerschaftsmodell. Sie sassen auf steifen Möbeln im Rund und tranken Wasser aus einer Karaffe, derweil er sich ins gute Polster fläzte und darin räkelte wie ihm grad eben zumute, eine Pfeife stopfte und ihnen einen alten Wein predigen wollte den Abend lang. Unter dem Dirigat eines Moderators - er bestand auf dem generischen Maskulinum, so ins Allgemeine gesprochen, und liess sich von keiner telegenen Einhelligkeit blenden - unter dem Dirigat eines Moderators wogten die Worte hin und her, meist von der Emotion stärker getragen als vom Argument, vom Strudel der Ereignisse kräftiger gelenkt als von der Stimme der Vernunft. Sein Applaus aus dem Polster, erst schwankend mal dieser, mal der andern Partei zuteil, und nie waren es ihrer drei oder vier, verebbte regelmässig recht bald, die geistreichen Statements der Teilnehmer waren nach kurzem Auftakt wie Knallmais verpufft, man schwafelte und schwadronierte am Thema vorbei, so dass er eine stereotype Substanzlosigkeit konstatierte, die er allen mit beissendem Spott aufs Gesicht zu erwiderte und schliesslich mit dem vorzeitigen Abschalten des Kastens, wie er den Fernseher bei solchen Gelegenheiten titulierte. Dummer Kasten, brummte er dann, womit er eigentlich das Diskussionsniveau meinte (das er freilich an manchem Thema schon vorauserriet: Partnerschaftsmodelle!) und den sprachlichen Verfall der Moderne, ja den Zustand der Gesellschaft schlechthin. Und er räumte den Wein weg und machte sich vor dem Zubettgehn noch ein wenig am Schreibtisch oder mit dem Altpapier zu schaffen.


Und der Kasten blieb mit hochgestreckter Antenne an seinem Platze zurück wie ein verdutzter Hund.


II


Der Mensch, so äusserte sich eines Sonntags, es war gegen Mittag, ein Gast, fürchtet den Tod und freut sich darauf; doch sprach er’s ins leere Polster hinein. Sein lieber Zuschauer nämlich stand in der Küche, vom Duft des Kaffees hingelockt, den er sich nebenher braute. Obschon er von dort den andern nicht hörte und der andre, der ihn ohnehin nicht hörte, ausserdem und begreiflicherweise nichts roch, kamen sie doch wie selten zwei Menschen in gedanklicher Konsonanz überein. Während der Redner ausholte und mit zur Stubendecke erhobenem Blick von der Jugend schwärmte, die erst hoch hinauswolle und den fernen Tod verkläre, ja, selbst den Sterbevorgang als ein orgiastisches Ereignis, als intensivste Steigerung des Glücksempfindens erwarte, dann aber reifer werde, mittlerer Mensch und desillusioniert, und sich als solcher ganz andere Gedanken mache und endlich dem hohen Alter weiche, das leider, hier dämpfte sein Ton sich zu den niederen Möbeln hinab, nichts Gutes mehr von der Zukunft glaube und an keine Erlösung im Tod, sondern mit Schrecken aufs Ende schaue und sich vor der Gegenwart fürchte und einsam beim Sammeln von Rahmdeckeln und allerlei anderen Grillen sein klappriges Leben verhauche - ein Elend, ein Elend, glauben sie mir! - während dieser Rede stand der verhinderte Zuschauer immer noch in der Küche und versuchte, das Licht des Kühlschranks zu flicken, das nur noch schwächlich flackerte und Anstalten machte, den Geist ganz aufzugeben. Wie ein Arzt seinen Patienten, betastete und beklopfte er ihn vorsichtig am wunden Punkt, wo das Lämpchen, als wär’s das viel zu kleine Herz eines massigen Körpers, in einer hermetisch abgedichteten Verschalung lag und weder auf ein sensibles Klöppeln mit dem Zeigefinger noch auch auf gröbere Behandlung mit der ganzen Faust reagierte. Da fiel ihm ein Freund ein, der neulich im Spital verstorben, und wie er sich geweigert hatte, auf die Intensivstation verlegt zu werden und trotz der Warnung der Ärzte, er werde die Nacht sonst nicht überleben, in Ruhe gelassen sein wollte und stur seine billigen Fernsehserien und auch noch deren Wiederholungen sich anschaute, bis sein schwaches Herz tatsächlich aufhörte zu schlagen und die Krankenschwester um fünf Uhr morgens den immer noch bläulich flimmernden Bildschirm abstellen musste. Welch geistige Verelendung eines alten Menschen, rief er da aus, der einst die Freiheit geliebt und wider den Stachel gelöckt und weder Tod noch Teufel gescheut, der sich für Kunst interessierte und an der Philosophie begeistern konnte und die anspruchsvollsten Bücher las, ehe Alter und Resignation ihn zermürbt und aus einem hoffnungsvollen, stolzen Menschen einen Jämmerling gemacht hatten, der an den Folgen des Fernsehkonsums intellektuell erstickte, an seinen Serien und Soaps, wie er sie nannte, an den unsäglichen Konventionen des stupidesten Denkens, aus denen er sich nicht mehr zu befreien wusste zuletzt und, je mehr er den Tod gefürchtet und damit gleichsam das Leben, sich umsomehr an den Fernseher geklammert hatte, wie ein verängstigtes Kind an die Mutter, damit nichts Schlimmes und nichts Böses, kein Liebes und kein Leides und überhaupt nichts mehr geschehen und an ihn herankommen konnte. Das war der Grund gewesen, dass er sich nicht hatte verlegen lassen wollen im Spital, gerade nicht der Mut, sondern die klägliche Angst vor dem Tod.


Da besann er sich darauf, dass auch ein Kühlschranklämpchen nichts war, das die Zeit verlohnte, kramte den Kaffeerahm hervor, schenkte ein und trug den guten Kaffee in die Stube und stellte zerstreut den Fernseher ab.


14 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Wintermärchen

unglück

der einkehr bedürfend, innerer sammlung und äusserster ruhe, schonung vor alltäglichkeit und briefkastenkram und allerlei ablenkungen,...

Comments

Rated 0 out of 5 stars.
No ratings yet

Add a rating
bottom of page