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Daniel Costantino

Der Fanatismus und ich

Aktualisiert: 17. Juni 2021

Zweieinhalbtausend Delegierte der Zeugen Jehovas, Anhänger und Verklärer eines tausendjährigen Gottesreichs, beschliessen 1936 in Luzern trotz dem Verbot, sich politisch zu äussern, eine Resolution gegen die Naziherrschaft, die in 100‘000-facher Auflage in der Schweiz gedruckt und in Deutschland ausser an tausende von Haushalten ganz gezielt an Beamte und Funktionäre der NSDAP, an ihre Richter und Staatsanwälte, ebenso an Pfarrhäuser verteilt wird. Darin steht geschrieben: „Wir rufen alle gut gesinnten Menschen auf, davon Kenntnis zu nehmen, dass Jehovas Zeugen in Deutschland, Österreich und anderswo grausam verfolgt, mit Gefängnis bestraft und auf teuflische Weise misshandelt und manche von ihnen getötet werden.“ Die gerechte Strafe für die Schandtaten der Nazis werde deren „vollständige Vernichtung“ sein.

Welch ein Mut. Und welch eine identische Vernichtungsideologie. Ein Exemplar geht per Einschreiben an Hitler persönlich, der ausser sich ist vor Wut und auf der Stelle Hausdurchsuchungen und massenweise Verhaftungen veranlasst. Wie die Häftlinge behandelt werden, steht ausser Frage.

Was nicht nur den Nazis, sondern allen Ungläubigen blüht, wenn das tausendjährige Friedens- und Gottesreich der Zeugen Jehovas anbricht, allerdings auch. Es werden nur sie selber überleben. Alle andern, weil sie sich „unverbesserlich gegen die Liebe Gottes, seine Massstäbe für Gut und Böse und seine Souveränität auflehnen“, werden in der Schlacht von Harmagedon durch die Heerscharen der Engel vernichtet.


Dass eine Dramaturgie in einem selbst die Eskalation des Terrors so ohne weiteres versteht..

Die amtliche - missliebige Leute und Gruppen, Andersgläubige und -denkende, Juden, Nichtarier, Schwule, Politische, kriegen Arbeitsverbot und werden aus der Stellenvermittlung und der Arbeitslosenkasse ausgeschlossen. Sie verlieren ihr Eigentum, man vertreibt sie aus ihren Wohnungen. Sie werden willkürlich verhaftet und kehren nicht wieder. Erste Lager entstehen, weil die Gefängnisse schnell überfüllt sind, noch improvisierte Stätten, zweckentfremdete Hallen und Fabrikgelände. Die Gefangenen müssen noch halbwegs normale Arbeiten verrichten, tragen ihre eigenen Kleider. Man weiss, wie es weitergeht, es werden Konzentrationslager, Arbeitslager, Vernichtungslager gebaut, die Gepeinigten zu Hunderttausenden und Millionen dem Hunger und schlimmsten Krankheiten und Seuchen ausgesetzt, mit Viehwaggons in die KZs transportiert, die Überlebenden bei ihrer Ankunft entweder sofort vergast oder in ein Programm zur „Vernichtung durch Arbeit“ gezwungen.

Und die Eskalation der Truppen, die Scheiben einschlagen und prügeln, die Leute zum Fenster hinausschmeissen oder erschiessen, Verhöre, Rapporte, Denunziationen, keiner begehrt gegen einen Vorgesetzten auf, viele tun sich den Oberen gegenüber hervor. Man kann das alles verstehen, es folgt alles einer Entwicklung, über die man entsetzt ist, doch nicht erstaunt sein kann.

Bis zu den Folterern und Henkern aus Passion, die nicht nur stundenlange Appelle bei Hitze oder Frost, Auspeitschungen, Erhängungen, Erschiessungen befehlen, sondern sie gerne selber ausüben, Dinge tun, die über die Hackordnung hinausgehen, die den Gepeinigten Benzin ins Herz spritzen, sie unter siedende Duschen stellen, sie einfrieren, sie vor aller Augen den abgerichteten Hunden im Käfig zum Frass vorwerfen. Es ist ein solches Grauen vor allem deshalb, weil man selber diesen Teufel im Leib hat und vielleicht nur mit viel Glück gegebenenfalls den Anstand, sich selbst umzubringen, bevor man ihn auf die Opfer loslässt.


Ein merkwürdiger Effekt: Lese ich über die Foltermethoden des Francoregimes, reagiere ich nicht gleich wie bei den Folterungen der Nationalsozialisten, obwohl ich über beides auf Deutsch lese und die Methoden dieselben sind. Etwas in mir wähnt die Frankisten weit weg. Und Hitlers Schergen unter uns.


Ein Nationalrat der rechtsgerichteten Schweizerischen Volkspartei auf die Frage, ob er sich nicht vor faschistischen Tendenzen in der Schweiz fürchte: Bei uns hat immer das Volk das letzte Wort. Es kann also nichts passieren.




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