Das Referendum gegen die Aufstockung des Schweizer Beitrages an die europäische Grenzschutzagentur Frontex kommt zustande. Damit steht im Mai die Frage zur Abstimmung, ob der Bund jährlich 61 statt der bisher nur 14 Millionen Franken zahlt, um die europäische Aussengrenze für unerwünschte Migranten noch sperriger zu machen. Schon auf legalem Weg ist es für einen potentiellen Asylanten äusserst schwierig, in die Schweiz zu gelangen. Wenn Europa der Schweiz auch die Illegalen von der Pelle hält, könnten Flüchtlinge hierzulande zur Rarität werden und ich frage mich, wofür wir überhaupt ein Asylrecht brauchen.
Ich gehöre zu jenen, die das Anliegen, Frontex nicht noch mehr Mittel zuzubilligen, mit einer persönlichen Signatur unterstützt haben, tat dies aber ohne vorausgegangenen Prozess der Entscheidungsfindung, ohne feste Überzeugung als Staatsbürger und – das möchte ich betonen – ganz frei von missionarischem oder moralischem Eifer. Schlicht ein Gefühl, das fast einem kindlichen Trotz glich, war entscheidend, als ich einer jungen Frau, die auf der Strasse Unterschriften für das Referendum sammelte, diskussionslos meine Unterstützung auf das Formular kritzelte.
Meine Unterschrift und der damit einhergehende kindliche Trotz steht einerseits dem Fatalismus, den ich manchmal empfinde, wenn ich über Flüchtlingslager in Libyen oder auf offener See gekenterte Boote lese, und andererseits dem kühlen Abwägen, wie ich es bei der bisher spärlich geführten Debatte um das Referendum oft beobachten konnte, entgegen. So reduzierte sich die Diskussion in der NZZ mehrheitlich auf die Frage, ob die Schweiz Gefahr laufe, aus Schengen ausgeschlossen zu werden, wenn sie Frontex weitere Gelder verweigere. Angesichts einer bewaffneten Grenzanlage und der Toten im Mittelmeer störe ich mich an Formulierungen wie jener von Markus Mohler, ehemaliger Dozent für Sicherheits- und Polizeirecht sowie früherer Polizeikommandant von Basel-Stadt, die er neulich in der NZZ schrieb, dass die Bekämpfung "asylrechtlich unzulässiger Praktiken" – womit er gewaltsame Rückführungen an der EU-Aussengrenze meint – nicht durch "eine engelhafte Position" gelöst werden könne. Er führt seine Argumentation weiter aus, die auf der rechtlichen Ebene nachvollziehbar scheint, doch genau da stört sich jener Teil in mir, der das Referendum unterstützt, da Mohler mir doch vorhält, ich sei ein Engel, ein Scheinheiliger womöglich noch dazu, die strukturelle und konkrete Gewalt an Flüchtlingen aber euphemistisch als "asylrechtlich unzulässige Praktiken" verharmlost. Es gibt auch andere Stimmen, wie jene von SP-Ständerat und Rechtsprofessor Daniel Jositsch, der den Nerv hat, sich eingehend mit der Sache zu beschäftigen und die Praktiken an der EU-Aussengrenze als "kollektives Verbrechen" bezeichnet. Er ist wahrlich kein Engel und er trägt auch keine rosafarbene Brille.
Meine Unterschrift ist die Bekundung für ein Thema, das die breite Bevölkerung hierzulande kaum noch zu interessieren scheint und wenn doch, dann nur wegen des roten Kopfes, den manche bekommen, weil Flüchtlingen die Nutzung des öffentlichen Verkehrs teilweise vom Staat bezahlt wird. Auf ebenfalls intellektueller Sparflamme bekundete ein anderer Kollege Interesse am Thema und er rührte mich peinlich, als er sagte, er könne diese Leute nicht verstehen, die sich immer bekriegten, ob diese vielleicht zuviel Freizeit hätten, denn er jedenfalls müsse arbeiten, sei abends müde, da bliebe keine Zeit, um Kriege zu führen. Ja, es hatte durchaus satirischen Wert und ich bin ihm nicht böse. Er weiss es nicht besser.
Auch ich sehe keine einfache Lösung für die Probleme, welche grosse Migrationsströme verursachen können. Eine Abschaffung des Asylrechts und eine bis auf die Zähne bewaffnete EU-Aussengrenze scheint mir jedoch der falsche Weg. Ich werde weiter am Thema dranbleiben.
Dem Asylrecht steht das Wasser bis zum Hals
Aktualisiert: 21. Jan. 2022
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