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Mit dem ersten Wimpernschlag ein leichtes in der Brust. Es ist wieder soweit. Letzte Reste des Traumes kleben in seinem Kopf. Fetzen von Bildern wie zerrissene Fotos. Die junge Katze, kaum alt genug um selbständig zu gehen, steht am Rande einer breiten Transitstrasse irgendwo im Niemandsland. Schwarze Lastwagen donnern vorbei. Einer um den anderen scheinbar endlos wie eine Panzerkolonne. Er möchte die Katze retten vor dem sicheren Tod. Doch er traut sich nicht, sie zu berühren. Sie scheint so zerbrechlich.

Eine Angst, die sich in Gewohnheit kleidet, treibt ihn jetzt aus dem Bett vor sich her und hinaus in den Tag. Er ist ein Gehetzter, bei dem sich Stress aus sich selbst erzeugt, sich sublimiert, auftürmt, ihn dabei mit, vor sich her und weg von sich selbst treibt. Sein Psychiater sagte ihm, er müsse sich besser fokussieren, eins ums andere tun. Prioritäten setzen. Er hat es versucht. Es hat nicht geklappt. Seither stresst ihn der Psychiater auch.

Auf dem Weg zur S-Bahn streifen Zittergestalten das Dämmerlicht. Ein laues Lüftchen mit dem Geschmack von Tau aus dem nahen Wald. Gedanken an alte Zeiten flackern auf und spenden kurzen Trost. Es gab Jahre, wo es besser um ihn stand. An der Haltestelle flimmert eine alte Leuchtröhre über den Geleisen und taucht die Bahnsteige im milchiges Licht. Das tut sie seit Jahren. Ihre Gleichgültigkeit verletzt ihn.

Bitte Anzeigen beachten, sagt die Computerstimme im Zug. Er versucht, die Stimme zu ignorieren, denn, was sie sagt, wird ihn nicht persönlich betreffen. Bitte Anzeigen beachten, sagt die Stimme nochmals. Offenbar hat sie einen Defekt. Er auch. Panik, Schuldgefühle, Stress. Jemand schreibt ihm, ob er den Termin heute Nachmittag um eine Stunde nach hinten schieben könnte. Er sagt zu. Er kann nicht Nein sagen. Jetzt hat er zwei Termine zur selben Zeit. Bitte Anzeigen beachten.

Die Sonne steht am Horizont. Ein Teppich aus warmem Licht. Die Natur kennt kein Halten und der Frühling bespielt die Bühne. Fröhliche Kinder im Zug. Er weiss, dass es anders ginge, er anders könnte. Auch der Psychiater hat es gesagt. Wenn es ihm nur gelänge, die Anzeige nicht zu beachten.

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