Über den Missbrauch der Sprache
Die Sensibilität der Schriftstellerschaft für den Missbrauch der Sprache wächst zu Zeiten eines Kriegs, den sie ernst nimmt, exakt entlang der Frontlinie von Freund und Feind, Schwarz und Weiss, West und Ost; ja sie bildet die Linie geradezu, wie wucherndes Gras über den Schützengräben das Niemandsland einer Grenzzone. Kraut und Rüben mögen mitwachsen da, hingeschmissener Müll, vor dem eigenen Bunker aufgekehrter Dreck. Jetzt wickeln die Kettenhunde des Gegners ihn um ihren Knochen wie Fleisch.
Taub und blind für die eigene Partei, gilt die Unterstellung eines Missbrauchs von Sprache ausschliesslich dem Feind, auch dem inneren, sofern seinen wurmstichigen Schalmeien noch ein freier Ton entweicht. Über die Schriftsteller drüben, im Osten halt wieder, ganz anderem Druck ausgesetzt als ihre Kollegen voller Westen, Freiheit und Werte, steht mir ein Urteil vielleicht nicht zu; den meisten hiesigen, diesigen, namentlich den Deutschsprachigen, kann ich aber ohne weiteres die Hand in ihr kaltes Feuer legen: die Sensibilität für irgend einen Gebrauch der Sprache ist etwas ganz Neues, völlig Ungewohntes für sie, und sie werden froh sein, damit wieder aufhören zu dürfen. Wenn Krieg und Kriegsgeschrei vorbei, ist Sprache wieder einerlei. Sie werden ihre klinische Sprachsensibilität abstellen, wie man einen elektrischen Schalter abstellt, und sich, von der inneren Spannung befreit, mit ihrer mechanischen, profanen, robusten Arbeit an der Sprache und gegen die Sprache begnügen.
Melinda Nadj Abonji, um eine Schriftstellerin herauszugreifen, keineswegs die schlechteste: wer im Falle der Ukraine von einem Konflikt statt einem Krieg spreche, übernehme Putins Sprache und helfe ihm damit. Zweifellos, das Lamm, das sich an lauterer Quelle labt und vom Wolf gefressen wird, unterliegt nicht in einem Konflikt, sondern einem Raubtier. Der Wolf in der Fabel schützt einen Konflikt nur vor. Ob einer Putin nun gerade „hilft“, wenn er Konflikt sagt, sei dahingestellt. Manch ein johlender Fussballfan vor dem Fernsehkasten ahnt es in stillen Pausen, dass seine Mannschaft auch ohne sein Brüllen gewinnt oder verliert. Gut aber, dass die GSoA und andere Organisationen des Friedens seltener als früher von ziviler Konfliktlösung und zivilen Konfliktlösungsstrategien reden, so geraten sie nicht unter Abonjis Räder. Der Schriftstellerin würden die Ohren schlackern.
Das Recht des Stärkeren ist seine stärkere Armee. Ob sich auch eine Armee missbrauchen lässt, wäre eine gute Frage, die sich einem Westautor einmal schriftstellen könnte, da der liebe Gott doch das Kriegsgerät und selbst das geringste Wäffelchen noch erschaffen hat, ein Ebenbild, ein Menschenbild auszulöschen und den Seinen allemal nach seinem Ratschluss zusteckt, ob ein Landstrich zu beherrschen oder wegzupusten, eine Stadt zu verschonen, ein Land zu verkohlen sei und ob schliesslich der Erdball despotisch oder demokratisch in die Luft fliegt; und da all dem unerforschlicherweise nun einmal so ist, könnte ein mutiger Westautor in aller garantierter Gedankenfreiheit hervortreten und dafür plädieren, den Katalog der Menschenrechte um das Menschenrecht auf Krieg zu erweitern. Damit wäre endlich jeder Soldat auf der Welt davor geschützt, für den Krieg missbraucht zu werden, und der Freiheit der Gedanken wäre kraft eines mutigen Autors nun auch ein Gedanke erwachsen.
„Massensuggestion, Überwältigung mit den Mitteln der Rhetorik bis hin zur nackten Lüge“, sagt Nadj Abonji, seien Teil jeder kriegerischen Propaganda. Es deprimiere sie mitzuerleben, wie die Sprache wieder einmal zur Waffe werde.
Nun, Massensuggestion... sobald man das Haus betritt, im TV switcht, Digitalien zappt, am Handy zippt, das Haus verlässt, Plakate frisst, im Kaufhaus steht, im Tram sich fläzt - nicht lauter Orte, uns mit den Mitteln der Rhetorik zu überwältigen, und sei’s mit der nackten Lüge? Schlagzeilen, Wahlkämpfe, Kampagnen, Politarenen - hinter jedem lausigen Ministerposten, jedem Spitzensportler noch PR-Fritzen und pauken Rhetorik und Propaganda mit ihm. Massensuggestion! Da sollen wir, aufs Mark geblendet und beschallt, verblödet und beknallt, uns von dem bisschen Putin zukrähen lassen, bis wir selber Krähen geworden sind?
Abonji glaubt an die Kraft, die Liebe und die Zärtlichkeit der Sprache, wie sie sagt. Sie will die Sprache beleben statt missbrauchen. Was natürlich, Belebung und Missbrauch derart gegeneinandergestellt, die Strahlkraft einer verlogenen Sprache im vornherein ein wenig tot erscheinen liesse. Aber maustot wäre erst die Sprache eines Autors, der jedes Wort auf die Goldwaage legte. So käme eine Literatur nun auch nicht voran. Es ehrt die Autorin, immerhin auf das „Gift der Sprache aufmerksam zu machen“ und in ihrem eigenen Schaffen die „Möglichkeiten der Wörter und Satzzeichen zu erforschen“.
Auch die Sprache der Melinda Nadj Abonji ist eine Waffe. In ihrem Falle hat das nichts Deprimierendes. Nur schärfer dürfte sie sein, präziser. Ein wenig schwerer.
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