Aufbruch
- Daniel Costantino
- 5. Mai 2021
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. Juni 2021
Nachts zwischen Wachen und Schlaf, da vernahm er einmal die Laute sterbender Fische. Erst nur ganz leise, aus dem Dunkeln, zu sehen war nichts. Und nur, wenn er linksseitig, gegen die Stube zu lag. Zur Wand hin, als er sich kehrte, erklang dagegen ein Walzer, ein ruhiger, gediegener Walzer. Akkordeon mit Geige. Und alles bekam Formen und Bild. Er sah Musikanten und Menschen, die tanzten. Und als er sich abermals drehte, war nun auch da eine sichtbare Welt entstanden. Doch die ging zugrunde.
Ein Pfuhl war geplatzt und hatte einen Stoss Fische geboren, der sich triefend und grau in die Luft türmte, binnen kurzem zertropfte und elend knarzend verdarb. Wie entseelte Arpeggien brachen die Köpfe und Gräten unter der eigenen Last, und schon war dem Schlund wieder ein hoher Ballen erwachsen, trocknete aus und sackte kreissend und splitternd zusammen. Ein namenloser Untergang. Und wenn er sich kehrte, gegen die Wand, überspülte behaglich der Walzer ihn wieder. Fischesterben, English Waltz. Kilirēbē. Kilirē-bē. Kilirèb, flüsterte er auf dem Weg von den Fischen zum Walzer, und sprach er wieder vom Reigen zurück in die Traufe.
Den Gedanken, anderes zu träumen, etwa von Reisfeldern oder den sieben Formeln der Welt oder gar den, zu erwachen, wies er von sich. Er wollte nichts unterbinden. Fische und Pfuhl, allmählich ein einziger bleichender, noch immer sich blähender, beinahe atmender Fischabfallhaufen, von Schlieren und Schlacken und diesen schauderhaft brechenden Gräten durchsetzt; und der Walzer, nun gar mit Gesang, je wie er sich kehrte im Schlaf, vom Leben ins Sterben geriet, vom Sterben zurück ins Leben sich wand. Kilirēbē. Auf festem Boden stand schliesslich ein Hügel vermoderten Dungs. Von den Kadavern war nichts mehr zu sehen. Doch war ihm, als entwichen dem Höcker statt Dämpfe fernöstlich klingende Cluster. Er spürte sein mattes, schwitzendes Fell. Dann empfing ihn wieder der Walzer. Ein ruhiger Dreivierteltakt. Vorüber die knarzenden, schnarrenden, massenhaft brechenden Fische, der Haufen von bleichenden Gräten. Immer schöner sang eine Sängerin. Nie war es so gut, am kostbaren Leben zu sein. Ein paar Töne legato die Skala hinauf, schwingend mit dunklem Alt zum Grundton hinab. Dazu wurde in festlicher Helle getanzt. Melancholisch, erotisch, erdenschön wie sonst nirgends. Er wollte schon mittun und lange verweilen. Doch unversehens - war da nichts mehr. Und auch er war nicht mehr. Nicht mehr vorhanden. Hätte ebenso tot, selber schon Dung sein können.
Und doch erwachte er wieder. Und entsann sich des Festes. Und betrauerte jetzt, von diesen Menschen und ihrem Einklang geschieden zu sein. Der gewöhnliche Tag, wohl das ganze noch kommende Leben versprach ihm nichts mehr dergleichen. Dass er indessen auch dem Schlimmen entkommen, war immerhin das Gute daran. Und so stand er auf, schlurfte nackt, wie er war, durch die Stube zum Herd und machte sich erst mal einen starken Kaffee.
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