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Daniel Costantino

Alptraum

Von langem Verweilen in Universen stiebender Sterne voll Fetzen des Glücks und aphrodisierendem Nebel kehrte sein Geist beim Morgengrauen in den Alltag zurück.

Die Nachbarn standen auf, husteten, schlurften, rumorten, zogen an der Spülung, drehten an Hahnen. Hier und dort schepperte Kastenmusik und scherbelte eine Stimme, erste Motoren jaulten oder brummten im Stand, es schletzten Türen und fuhren schon Trams und hellte Dämmerung auf.

Sein Körper aber wand sich in einer Turbine und rang nach Atem, etwas Röhriges und Hyperelektrisches hielt ihn umfangen, er vernahm das Stanzen von Druckerpressen, Zeitungen bellten Schlagzeilen wie Pistolenschüsse, Spalten schlugen ihm entgegen und höhnten seiner Unfähigkeit, sich zu wehren, und wie geschaukelt von einem Boot trieb er durch Schollen und Höhlen an Menschentrauben vorbei, die sich an Wände, an feuchte Felsen schmiegten, in Pfützen wateten, durch stinkende Schächte ans Licht kletterten. Von ungefähr stak wie ein Turm ein Thermometer vor ihm im Boden, und er las seinen kritischen Zustand von der knittrigen Skala ab. „Es gibt soviel zu wissen und zu bedenken“, rief es da in seinem Kopf, „und du hast von nichts je etwas begriffen, nur dass du verderben wirst und auf der Stelle, wenn du nicht erwachst, in den Tag, ins Leben, in die Arbeit hinein!“

Er fühlte sich sterben im Morgengrauen, roch seinen modernden und verwesenden Leichnam schon, fluchende Männer hoben ihn aus den Laken, Nachbarn eilten hinzu und gafften und durch das offene Fenster drang ein Zwitschern und Quietschen, erschollen muntere Rufe. Er lauschte an seinem Leben und konnte keinen Muskel rühren, starr, gelähmt, paralysiert, er musste in einem Alptraum sein. Also sträubte er sich und rebellierte und schrie, und es gelang ihm, zu erwachen und an den Knopf des Nachttischlämpchens zu kommen, doch blieb es dunkel im Raum, und er merkte, dass er immer noch sterbend im Bett lag. Angst durchfuhr ihn jetzt, Panik vor dem Ersticken.

Da läutete auf einmal der Wecker, und er vermochte sich ein wenig zu regen, erschlaffte aber schnell. Die Dämmerung wich dem Tag, der Tag begann sich zu verfinstern, es wurde wieder Nacht, und immer noch lag er regungslos da, vom Wecker, der immer autoritärer schrillte, am Leben gehalten. „Was denken die Nachbarn“, dröhnte sein Kopf, „ein Wecker, der mitten in der Nacht wie eine Sirene heult und ein Heidenspektakel macht und das ganze Quartier gegen dich aufbringt, man wird kommen und dir die Wohnung knacken, man wird deinen Wecker zerschmettern und deine Leiche schelten und forttragen und in den Fluss dich schmeissen!“

Doch dann wurde es plötzlich ruhig im Zimmer, er dachte und fühlte und fürchtete nun nichts mehr, gar nichts. Und dann läutete der Wecker.


Da stand er auf und ging in die Fabrik.


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